Halbe Sklaven

Jedes Jahr rechnet der Bund der Steuerzahler aus, wie viele Tage im Jahr der Bürger für den Staat arbeitet und wie viele Tage für sich selber. In diesem Jahr war der Stichtag der 19. Juli. Das heißt, bis zum 19. Juli, also mehr als die Hälfte des Jahres, haben Arbeiter, Angestellte, Selbständige und Betriebe für den Staat gearbeitet. Tatsächlich beträgt die durchschnittliche Einkommensbelastungsquote in diesem Jahr 54,6%.

Wenn ein Mensch gezwungenermaßen mehr als die Hälfte seiner Zeit für jemand Anderes arbeiten muss, ist er kein freier Mensch. Und ja doch, die Arbeit, die wir für den Staat leisten, ist Zwangsarbeit. Denn wir haben ja gar keine andere Wahl. Wir können die Staatsbürgerschaft nicht aufkündigen wie die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder die Mitgliedschaft in einem Verein. Der Staat lässt seine Bürger nicht frei darüber entscheiden. Man kann aus einem Staat nicht austreten und im selben Haus einfach als Staatenloser weiterleben. Mehr als die Hälfte des Jahres ist der Mensch, der gleichzeitig ja immer auch Staatsbürger ist, also der Sklave des Staates. Wir sind also sozusagen alle Halbsklaven.

Vielleicht sollten wir doch nochmal gründlich drüber nachdenken, was es bedeutet, wenn wir von Freiheit reden. Wenn ein Halbsklave glaubt, ein freier Mensch zu sein, dann ist er in doppelter Hinsicht unfrei. Nicht nur, dass er bloß über die Hälfte von dem, was er sich durch seine Leistungen erarbeitet, verfügen darf. Nein, auch seine Wahrnehmungs- und Urteilskraft sind offensichtlich massiv eingeschränkt, denn sonst müsste sich der halbwegs mit Verstand begabte Mensch doch zumindest über seinen Status im Klaren sein und das entsprechend kommunizieren. Stattdessen reden die meisten Menschen gebetsmühlenartig davon, gerne in diesem freiheitlich demokratischen Land zu leben. So, wie die Menschen anderswo eben behaupten, gerne unter kommunistischer Fahne oder einem Führer wie Kim Yong Un zu leben. Wenn es um Kommunisten und Diktatoren geht, wird von Indoktrination geredet. Wir reden von Meinungsfreiheit. Aber worin besteht denn nun der Unterschied? Jubeln die Menschen in Nordkorea etwa nicht freiwillig?

Indoktrination besteht darin, eine fremde Meinung zur eigenen zu machen, sogar dann, wenn sie einem selbst zum Nachteil gereicht. Ist das hier bei uns so viel anders? Ist es etwa kein Nachteil, mehr als die Hälfte des Jahres für fremde Taschen zu arbeiten? Nur ein Bruchteil davon fließt über Umwege wie Kindergeld oder Rentenansprüche in unsere eigenen Taschen zurück. Das Meiste ist einfach futsch. Für immer perdu. Denn zurück bekommen wir hauptsächlich Schein-Sicherheiten und leere Versprechungen. Zum Beispiel das Versprechen, im Alter mit einer Rente versorgt zu werden. Doch im Kleingedruckten steht, dass die Höhe der Rente von der Wirtschaftslage und sonstigen Umständen abhängt. Im Grunde verpflichtet sich der Staat zu nichts. Wie jeder Sklavenhalter entscheidet der Staat höchst willkürlich über das Wohl und Wehe derer, die er ausbeutet.

Der Staat nimmt im Jahr 2017 seinen Bürgern mehr als die Hälfte ihres Einkommens weg. Das ist die höchste Quote, die es in der Geschichte Deutschlands je gab. Wenn es nicht der Staat wäre, der in die Tasche des Bürgers greift, könnte man doch glatt von Diebstahl reden.

Die zunehmende Enteignung des Bürgers funktioniert schleichend. Hier eine minimale Abgabe mehr, dort eine kleine Erhöhung des Steuersatzes, da noch ein bisschen Umweltschutz wie bei der EEG-Umlage. Dazu kommt, dass nicht der gesamte Steuersatz direkt vom Einkommen abgezogen wird. Bei Arbeitern und Angestellten wird auf der Lohnabrechnung nur die Hälfte abgezogen, die andere Hälfte muss der Arbeitgeber bezahlen. Das ist natürlich Augenwischerei. Zahlen-Kosmetik. Das wird so gemacht, um dem Arbeitnehmer vorzugaukeln, dass ihm gar nicht soviel abgezogen wird. Derselbe Trick wird nochmal angewandt, indem nicht nur das Einkommen, sondern mit der Mehrwert- und anderen Verbrauchssteuern auch die Lebenshaltung und der Konsum besteuert werden. Dazu kommen noch die kommunalen Abgaben, wo die Gemeinden nochmal Geld für Leistungen verlangen, die eigentlich über die Steuerzahlungen bereits abgegolten sein sollten. Wie Abwasser- und Müllgebühren. Und der größte Witz ist, dass dann auch wieder die Rente besteuert wird.

Wird ein Frosch in heißes Wasser geworfen, springt er aus dem Topf sofort wieder hinaus. Wird der Frosch jedoch in kaltes Wasser gesetzt, das gaaanz langsam erhitzt wird, bleibt er sitzen, bis er tot ist. Wir Halbsklaven sind wie Frösche, die in kaltes Wasser gesetzt werden und nicht merken, dass das Wasser allmählich den Siedepunkt erreicht.

Interessant dabei ist, dass es den Staat ja eigentlich gar nicht gibt. Er existiert nur in den Köpfen der Menschen und in ein paar Gebäuden, die man Regierungsgebäude nennt, die man aber auch für andere Zwecke nutzen könnte. Der Staat existiert nur in diesem merkwürdigen Raum, den man das kollektive Bewusstsein nennt. Der Staat ist, genau genommen, eine Form von Glauben. Das funktioniert genauso wie in einer Religion. Ob man an den Staat oder an Gott glaubt, macht keinen großen Unterschied. Der Staat verspricht dasselbe wie Gott: Schutz, Sicherheit, Wohlstand. Der einzelne Mensch kann sich gegen den Staat genauso wenig wehren wie gegen Gott.

Der Staat ist der säkularisierte Gott. Der Staat ist die verweltlichte Form des Übermächtigen und im Zeitalter der Digitalisierung auch des Allwissenden. Gott ist ja nichts Anderes als eben die Projektion des Übermächtigen ins Zeit- und Raumlose hinein. Dieses Zeit- und Raumlose ist identisch mit dem kollektiven Bewusstsein. Die Projektion des Übermächtigen ins Zeit- und Raumlose hinein war die Voraussetzung für die Entstehung eines kollektiven Bewusstseins. Die Erfindung von Gott dehnte hier einen Raum auf, wo vorher keiner war.

In einer Horde kennt jeder jeden und der Zusammenhalt wird durch den persönlichen Kontakt gewährleistet. Wo der Austausch direkt und persönlich ist, stehen die Menschen für sich selber ein. Auch wenn sie Bindungen oder Handelsbeziehungen miteinander eingehen, bleiben sie Individuen. Die Erfindung von Göttern diente dazu, Menschen über diese Horde und die persönlichen Beziehungen hinaus zu einer Einheit zusammenzuschweißen. Sogar Menschen, die sich nie im Leben sehen und nie miteinander reden, gehören zur selben Gruppe, wenn sie an denselben Gott bzw. an dieselben Geschichten glauben. Die Erfindung von Gott dient dazu, die Beziehungen unter Menschen zu entpersonalisieren. Das heißt zu anonymisieren. Erst da, wo Menschen gelernt haben, ohne persönliche Beziehungen zusammenzuleben, können sich größere Verbände bilden: Städte, Stadtgemeinschaften, Nationen, Staaten. Und da, wo Beziehungen anonym werden, werden die Tore zur Willkürherrschaft geöffnet.

Haben sich Nationen und Staaten erstmal durch entsprechende Regierungsgebäude und eine effiziente Verwaltung etabliert, ist Gott nicht mehr nötig. Deshalb verschwinden die Götter wieder, wenn die Menschheit sich in großen abstrakten Gebilden wie Nationen und Staaten vereinheitlicht hat. Der letzte Gott wird spätestens dann sterben, wenn sich die Weltregierung mit ihrem entsprechenden Verwaltungsapparat durchgesetzt hat.

Den Götterwelten im Polytheismus wohnt die Dynamik zu einer einzigen, allmächtigen Gottheit bereits inne. In ihrer Vervollkommnung werden polytheistische Religionen schließlich monotheistisch. Auf Dauer kann es nicht mehrere Weltreligionen nebeneinander geben, die an verschiedene allmächtige Götter glauben. Es kann nur einen allmächtigen Gott geben. Aber wie gesagt: die Götter und auch der Allmächtige existieren nur im kollektiven Bewusstsein. Der Allmächtige ist identisch mit dem kollektiven Bewusstsein. Gott ist nicht mehr als eine Idee, die von vielen Menschen geglaubt wird. Allmächtig ist dieser Gott dann, wenn die Idee von allen Menschen geglaubt wird. Die Säkularisierung des Allmächtigen ist der Weltstaat.

Gott ist also so etwas wie das Gerüst, das notwendig ist, um das Haus zu bauen. Ist das Haus, der Weltstaat, erstmal fertig, wird das Gerüst wieder abgebaut. Sobald der Weltstaat verwirklicht ist, kann man auf den Allmächtigen verzichten. Tatsächlich läuft dieser Prozess ja schon. Wo immer Staaten sich stabilisieren, ersetzen sie den Glauben, und die Götter verschwinden. Je unsicherer ein Staat und je weniger Schutz und Sicherheit der Staat seinen Bürgern gewährt, desto mehr neigen die Menschen dazu, sich weiterhin an ihre Götter zu klammern.

Je größer das Konglomerat, zu dem sich Menschen zusammenschließen, desto teurer wird dessen Finanzierung. Das ist logisch, denn umso mehr Verwaltungsebenen müssen dazwischen geschaltet werden. Eine autarke Region kommt mit einem kleinen Verwaltungsapparat aus. Wenn sich aber Regionen zu einer Landesregierung zusammenschließen, muss dieser Zusammenschluss durch einen weiteren Verwaltungsapparat umgesetzt und realisiert werden. In der Folge der Vereinheitlichung kommen Bundesländer, Nationalstaaten und schließlich Staatenverbände wie die EU hinzu, und jede weitere Ebene benötigt einen weiteren Verwaltungsapparat.

Wenn der Bürger heute mehr als die Hälfte seines Einkommens hergeben muss, dann, um diese immer größer und immer schwerfälliger werdenden Staatsapparate zu finanzieren. Wir zahlen heute mehr Steuern und Abgaben denn je, weil außer Deutschland auch noch die Europäische Union mitfinanziert werden muss. Man kann sich ausrechnen, was die Verwaltung eines Weltstaats den einzelnen Bürger kosten wird. Ich schätze mal, 100% seines Einkommens werden da noch zu wenig sein. 🙂

Erschwerend kommt hinzu, dass die Staaten durch ihre Regierungen nicht nur aufs Einkommen ihrer Bürger zugreifen, sie mischen sich mit immer mehr Vorschriften auch immer mehr in deren Privatleben ein. Niemand kann heute mehr sein Haus selber bauen, sondern muss es aufgrund der zahllosen Vorschriften von einer Baufirma bauen lassen. Selbst eine Bestattung ist heute durch einen Wust von Vorschriften so kompliziert geworden, dass ohne ein Expertenteam in Form eines Bestattungsunternehmens gar nichts mehr geht. So geht der Bürger mehr und mehr in den Besitz des Staates über.

Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird der Mensch der Zukunft nur noch fürs Kollektiv arbeiten. Er wird kein halber Sklave mehr sein, sondern ein ganzer, und zwar einer, der am Ende von den willkürlichen Entscheidungen einer Weltregierung mit all ihren Verwaltungsebenen gerade so abhängig ist, wie in den amerikanischen Südstaaten der afrikanische Baumwollpflücker einst vom Gutsherrn und dessen Sklavenaufsehern abhängig war.

 

Das Wunder von Fukushima

Weihnachten naht mit Riesenschritten, und wie jedes Jahr rufen die Kirchen dazu auf, das Wunder von Christi Geburt zu feiern. Ich bin nicht mal davon überzeugt, dass Jesus Christus wirklich gelebt hat. Mir scheint diese Gestalt vielmehr eine symbolische Verdichtung verschiedener geistesgeschichtlicher Traditionen zu sein, die im Umbruch von Götterverehrung hin zu dem, was man gemeinhin Logos nennt, verwurzelt sind. Die Wunder, die Jesus Christus gewirkt haben soll, verlieren ebenfalls schnell ihren Zauber, sobald man sich näher mit ihnen befasst. Wasser in Wein zu verwandeln, war im Jahre Null unserer Zeitrechnung nämlich normal. Aus Kosten- und Kapazitätsgründen wurde Wein damals in konzentrierter Form transportiert, vergleichbar einem Suppenwürfel oder Sirup. Vor dem Verzehr wurde diese Masse mit Wasser aufgegossen. In gewisser Weise ist es natürlich schon ein Wunder, Wasser dank eines Brühwürfels in Suppe oder mittels Sirup in Wein zu verwandeln, indessen ist es ein Wunder, das keinerlei magische Fähigkeiten erfordert. Vergorenen Trauben die Flüssigkeit zu entziehen und sie in ein alkoholisches Konzentrat zu verwandeln, gehört in die Kategorie der technischen Verfahren.

Ich tu den Kirchen dieses Jahr jedoch den Gefallen, gehe in mich und mache mir mal ein paar Gedanken über Gott und seine Wunder.

Da ist beispielsweise das Wunder von Fukushima. Im März 2011 kam es nach einem schweren Erdbeben mit anschließendem Tsunami in Fukushima zu einer Reaktorkatastrophe. Vier von insgesamt sechs Reaktorblöcken wurden zerstört und riesige Mengen an radioaktiven Material freigesetzt. Damals habe ich jeden Tag damit gerechnet, in den Medien zu hören, dass radioaktiver Fallout nun Millionen von Menschen in Tokio vergiftet hat. Dass dies nicht geschehen ist, ist dem Wind zu verdanken, der damals konstant in Richtung Meer hinauswehte. Es wundert mich, dass über dieses Wunder so wenig gesprochen wird. Es ist doch wesentlich eindrucksvoller als die alte Geschichte mit dem Wasser und dem Wein, die eh niemand mehr nachprüfen kann.

Das Wunder von Fukushima macht mich schon nachdenklich. Seit wir Menschen geworden sind, gehen wir mit Kräften und Gewalten um, die wir nicht wirklich verstehen und die unser eigenes Vermögen um ein Vielfaches übertreffen. Trotzdem passiert erstaunlich wenig. Und wenn etwas passiert, ist in der Regel nicht technisches, sondern menschliches Versagen die Ursache der Katastrophe. Wie in Tschernobyl. Dort war es bodenloser Leichtsinn und ein selten dämliches Timing. Wie beim Untergang der Amoco Cadiz. Dort führte unverantwortliche Profitgier dazu, dass die Rettungsschiffe nicht rechtzeitig zum Einsatz kamen, um den havarierten Tanker zu bergen, bevor er auseinanderbrach.

Menschen fahren mit Millionen von Autos auf den Straßen herum. Setzen sich in Flugzeuge. Oder in Unterseeboote. Sie fahren durch Tunnels, die manchmal sogar unter dem Meer hindurchführen. Sie bauen gewaltige Staudämme. Hochgeschwindigkeitszüge und Seilbahnen. Brücken und Wolkenkratzer, dass einem schwindelig davon werden kann. Trotzdem passiert im Verhältnis wenig. Und wenn Unfälle passieren, dann ist häufig Alkohol im Spiel. Oder jugendlicher Leichtsinn. Oder regennasse Fahrbahnen. In den wenigsten Fällen ist es technisches Versagen. Und nur selten ein dummer Zufall. Das sind die wahren Wunder, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. Die meisten merken nicht mal, dass es sich hier um echte Wunder handelt und nicht um hanebüchen zusammengesponnenes Zeug aus vergangenen Jahrhunderten.

Der Mensch setzt mit der Atomspaltung ungeheure Energiemengen frei. Zu Beginn des Manhattan-Projekts gab es die Befürchtung, dass eine durch Atomspaltung hervorgerufene Kettenreaktion die gesamte Erde in einen Feuerball verwandeln könnte. Ganz ähnlich befürchten heute nicht wenige, dass ein im CERN produziertes Schwarzes Loch die Masse der Erde einsaugen könnte. Und was ist tatsächlich passiert? Auf der Nordhalbkugel wurde ein bisschen Plutonium verteilt, worauf die Lebenserwartung der Menschen um circa 20 Jahre gestiegen ist.

Längst sind überall auf der Welt gentechnisch manipulierte Organismen freigesetzt, aber die von Umweltschützern ausgerufene Katastrophe ist bislang ausgeblieben. Es gab bislang kein von einem genmanipulierten Organismus erzeugtes Massensterben, wie es in Hunderten von grünen Propagandaschriften heraufbeschworen wird. Nicht mal ein klitzekleines. Alle angeblichen Fälle entpuppen sich bei näherer Betrachtung als mühsam an den Haaren herbeigezogen und unsauber recherchiert. Stattdessen gab es 2011 in Deutschland die EHEC-Epidemie mit 53 Toten und 4000 Erkrankten, die von verseuchten Biosprossen hervorgerufen wurde. Man stelle sich das mal vor: ausgerechnet jene, die mit ihrer Lebensweise gegen die Gentechnik ein naturverträgliches Zeichen setzen, werden durch ihr superbiologisches Zeug ernsthaft krank.

Wenn Menschen massenhaft sterben, dann durch Naturkatastrophen. Im Mittelalter forderte die Pest 25 Millionen Tote in Europa. 1920 gab es 50 Millionen Tote durch die Spanische Grippe, 1958 kamen zwei Millionen durch die Asiatische Grippe um. 2014 kostete das Ebola-Virus in Afrika 12.000 Menschenleben. 1965-67 verloren in Indien über 1,5 Millionen Menschen durch eine Dürrekatastrophe ihr Leben, in der Sahelzone waren es 10 Jahre später etwa 2 Millionen. Und dann wären da noch die Erdbeben: 70.000 Tote im Iran (1990 und 2003), 230.000 in Indonesion und Indien (2004), 87.000 in Kaschmir (2005), 88.000 in China (2008), 316.000 in Haiti (2010) und 19.000 in Japan (2011).

Ist es nicht seltsam, dass der Physiker Stephen Hawking entgegen aller Prognosen und aller ärztlichen Vernunft immer noch lebt, während ausgerechnet Waldarbeiter von allen Berufstätigen die kürzeste Lebenserwartung haben? Also mir gibt das schon zu denken. Je technisierter ein Land ist, desto mehr bleibt es von Naturkatastrophen verschont. Ist doch so, oder? Wo bleibt denn das große Erdbeben von Los Angeles oder der Ausbruch des Supervulkans im Yosemite Valley? Die sind doch schon längst überfällig. Hält da etwa Gott seine schützende Hand drüber?

Wenn ich an Gott glaubte, müsste ich zu dem Schluss kommen, dass Gott die Technikbesessenen schützt, wo immer es möglich ist, während ihm die Naturburschen doch eher hinten den Buckel runtergehen. Womöglich werden die, die der Natur anhängen und sie hegen und pflegen, sogar abgestraft. Meistens bin ich verkratzt, wenn ich im Garten war. Oder eine Kreuzspinne hat mich gebissen. Oder ich habe Rückenschmerzen. Wenn ich an Gott glaubte, müsste ich das nicht als kleines Zeichen von ihm nehmen?

Heißt es nicht schon lange,  dass die Kirche sich modernisieren muss? Ich finde auch, dass es höchste Zeit ist, dass der Papst seine Lehre aktualisiert. Was sind schon Wasser-in-Wein-Wunder oder Bluthostien-Wunder im Vergleich mit dem Wunder von Fukushima? Wenn es Gott gibt, dann sollten die Gläubigen seiner Botschaft lauschen, die da lautet: Gott schützt die Atomspalter, die Genmanipulierer, die Brückenbauer, die Energieverschwender. Gott schützt all jene, die die Erde technisieren. Die Einzigen, die das bis jetzt wenigstens ansatzweise begriffen haben, sind die Amerikaner. Die beten immerhin manchmal dafür, dass Gott ihnen billiges Benzin schenkt.

Franz Alt soll doch mal in sich gehen und seine Position überdenken. Jetzt in der Vorweihnachtszeit.

Gibt es Gott?

Um die Frage, ob es Gott gibt, beantworten zu können, müsste man erst mal wissen, was der Begriff Gott bezeichnet oder wofür er steht. Das scheitert jedoch schon am Fehlen einer allgemein gültigen Definition. Die Menschen sind sich ja nicht mal drüber einig, ob Gott ein Seiendes, ein Nicht-Seiendes, die Einheit aus Seiendem und Nichtseiendem oder nichts von alledem ist. Manchmal wird Gott mit einer immateriellen Einheit assoziiert, manchmal mit der Vielfalt des Seins, manchmal mit beidem. Ebensowenig sind sich die Menschen einig, ob Gott ein übernatürliches Wesen oder eine höhere Macht ist, wobei auch wieder unklar bleibt, was übernatürlich bzw. höher eigentlich bedeuten soll. Darüber hinaus sind Wesen und Macht keine austauschbaren Synonyme. Es wird vom Gott geredet, der die Welt erschaffen hat, ebenso wie vom Gott in mir, vom transzendenten wie vom immanenten Gott. Gott ist allwissend, die absolute Vernunft, sich Gott aber mit rationalen Fragen anzunähern, ist verpönt, denn Gott ist eine Sache des Glaubens, aber doch wieder nicht, denn es ist eine Sache der Vernunft, an einen einzigen Gott oder ein übergeordnetes Prinzip und nicht an viele Götter oder gar an ein Spaghettimonster zu glauben.

Über die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, ist ein Austausch aufgrund dieser fehlenden verbindlichen Vereinbarung, wovon man eigentlich spricht, nicht möglich. Für eine Diskussion fehlt jede Grundlage. Ebenso für eine Antwort.

Wenn man von Gott spricht, ohne zu wissen, wer oder was Gott ist, geht es gar nicht um Gott. Es geht um die tief im Menschen verwurzelte Sucht nach Erklärungen. Der Mensch ist offensichtlich so strukturiert, dass es ihm nicht genügt zu wissen, dass es ihn gibt, er will darüber hinaus wissen, warum es ihn gibt. In den meisten Fällen ist mit der Erklärung eine Rechtfertigung verbunden. Oder ein Zweck. In vielen Fällen hat unser Dasein hier in dieser Welt den Zweck, in ein Jenseits zu gelangen, Gott bei seiner Arbeit zu helfen oder selber Gott zu werden.

Im Laufe unserer menschlichen Entwicklung ist diese Sucht nach Erklärungen immer stärker geworden. Der Mensch will, ja muss wissen, was die Welt im Kern zusammenhält, wie sie funktioniert, was ihre erste Ursache ist und welche Rolle wir als Kollektiv und als Einzelne darin spielen. Die Menschheit ist von dieser Sucht vollkommen besessen und verteilt Nobelpreise an die Junkies, die ebenso nach Wissen gieren wie die Heroinsüchtigen nach Heroin. Die Schule, die Universität und die Kirche sind die Orte, wo mit Erklärungen gedealt wird. Manche Erklärungsmodelle werden als Wissen, andere als Glauben, wieder andere als Ethik oder Sozialisation verkauft.

Je vollständiger man die Welt erklären kann, desto mehr hat man sie im Griff. Die Sucht nach Erklärungen hat damit zu tun, dass der Mensch die Welt beherrschen, kontrollieren und manipulieren will. Der Gottesbegriff vervollständigt die lückenhaften Erklärungsmodelle, die der Mensch aus seinen praktischen Erfahrungen ableiten kann. Die totale Erklärbarkeit der Welt und des Seins ist nur mit Hilfe eines übergeordneten, allumfassenden Begriffs möglich. Für den Menschen, der keine Frage unbeantwortet lassen kann, ist Gott oder ein ähnlich allumfassender Begriff eine Notwendigkeit.

Gier ist in unseren Augen schlecht. Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis sind inzwischen durchaus zur Einsicht gelangt, dass Gier die Welt zerstört. Deshalb wird der Kapitalismus als systemisch gewordene Gier von allen in höchsten Tönen kritisiert, wenn nicht gar verdammt. Unbegreiflich bleibt, dass die Neu-Gier bei alledem weiterhin den Status einer Tugend genießt. Aber schließlich ist Neugier der Antrieb, um neues Wissen zu erlangen, und darf deshalb nicht in Frage gestellt werden. Wissen ist uns heilig. Neugier ist allenfalls schlecht, wenn man den Nachbarn ins Fenster guckt oder deren Briefe liest. Aber auch hier findet derzeit eine gewaltige Verschiebung statt, auch diese Art von Neugier wird rehabilitiert und zur Normalität, während das Bestehen auf einer Privatsphäre zunehmend verdächtig wird, es sei denn, man heißt William und Kate. Während Adlige früher die Objekte waren, an denen sich die Neugier schamlos befriedigen durfte, kann heute jeder zum Objekt schamloser Neugierde werden, während Adlige plötzlich das Privatleben für sich entdecken.

Wie jeder Süchtige merkt auch der Erklärungssüchtige nicht, von welcher Qualität der Stoff ist, den er zu sich nimmt. Er klammert sich an Begriffe, deren Bedeutung er nicht kennt und über die er sich auch gar nicht klar werden will. Er klammert sich an Erklärungsmodelle, die nicht nur immer abstrakter, sondern auch immer abstruser werden. Manchmal klammert er sich auch an eingebildete Verschwörungen, bloß um eine Erklärung zu haben. Wie jeder Süchtige merkt auch der Erklärungssüchtige nicht, dass seine Sucht ihm schadet. Wie jeder Süchtige merkt auch der Erklärungssüchtige nicht, dass er nicht nur die Welt um sich herum, sondern auch sich selber langsam, aber sicher zerstört.

Die interessante Frage ist also nicht, ob es Gott gibt oder nicht, sondern die Frage, warum der Mensch derart erklärungssüchtig geworden ist. Ja, ich brauche keine Erklärung für den Kosmos, aber ich hätte doch gern eine Erklärung für diese Erklärungssucht. 🙂
Ich habe auch eine gefunden: Unsere rasante geistige Entwicklung inklusive der damit verbundenen genetischen Veränderung unseres Gehirns ist die Folge eines systemischen Zuwiderhandelns gegen unsere innerste Natur und gegen unseren Instinkt. Es ist ein Bruch in uns selbst, der Instinkt und Geist zu unvereinbaren Gegensätzen macht. Daher kommt diese Unruhe, die uns in die Sucht zwingt. Im Grunde will der Mensch nichts anderes, als diesen Bruch überwinden und wieder zur Ruhe zu kommen. In Genese des Übernatürlichen versuche ich, diesem Bruch in uns selbst auf die Spur zu kommen.

Im Laufe unserer Entwicklung haben die metaphysischen Erklärungen, die der Mensch sich zu seiner Beruhigung zurechtlegt, unterschiedliche Gestalt angenommen. Im Großen und Ganzen lassen sich drei Phasen unterscheiden.

Der Anfang der ersten Phase liegt im Dunkeln. Die mögliche Zeitspanne reicht von zweihunderttausend Jahren bis zu zwei Millionen. In dieser Zeit lernte der Mensch, mit dem Feuer umzugehen und entwickelte eine Sprache, die über reine Laute weit hinausging. In dieser Phase erfuhr der Mensch die ganze Welt noch als belebt. Er entwickelte im Animismus das Erklärungsmodell der doppelten Erscheinungsweise aller Dinge als einerseits materiell und andererseits geistig. Alle materiellen Dinge waren dem Menschen gleichzeitig geistiger Natur. Der Mensch lebte inmitten der Welt gleichermaßen in einer Welt der Geister und Dämonen. Durch die Erfindung von Geistern und Dämonen konnte sich der Mensch unerklärliche Erscheinungen wie Feuer, Regen, Wolken, Gewitter erklären. Geister und Dämonen sind ein erstes umfassendes Erklärungsmodell. Aus heutiger Sicht sind es also durch und durch natürliche Erscheinungen, die im Menschen den Glauben ans Übernatürliche begründet haben.

Die zweite Phase begann vor rund zehntausend Jahren. Der Mensch wurde sesshaft. Er fing an, Ackerbau zu betreiben und Metall zu bearbeiten. Er entwickelte die Schrift und den Glauben an Götter, die im Monotheismus zu einer einzigen, allmächtigen Gottheit verschmolzen. In diese Zeit fällt auch die Gründung von Städten, wo erstmals Menschen, die nicht verwandt miteinander waren, ja, die sich nicht einmal gut kannten, zusammenlebten.
Der Glaube an einen Gott, der jeden Menschen bei seinem Tun beobachtete, machte die Urbanisierung überhaupt erst möglich. Das allwissende Auge, das über jeden Einzelnen wacht, brachte die Menschen dazu, sich ihren fremden Nachbarn gegenüber anständig zu benehmen, sie nicht auszurauben oder umzubringen. Bei den Jägern und Sammlern war es die natürliche Entfernung der verschiedenen Clans zueinander gewesen, deren riesige Reviere Mord und Totschlag weitgehend verhindert hatten. Da in Städten diese natürliche Barriere aufgehoben war, brauchte es dringend einen Ersatz, und das war der Glaube an den allessehenden, allwissenden Gott. Nicht nur wurden die Städte dabei allmählich immer größer, der Mensch schloss sich auch zu immer größer werdenden Organisationseinheiten zusammen. Aus Glaubensgemeinschaften oder Völkern wurden Nationen, aus Nationen Staaten, aus vielen Staaten ein Staatenverbund. Der Glaube an einen universalen Gott wirkt vereinheitlichend auf die Menschen.

Die dritte Phase begann mit der Industrialisierung vor knapp zweihundertfünfzig Jahren. Der Mensch erfand die Dampfmaschine und den Verbrennungsmotor. Das sind Maschinen, die Energie erzeugen. Bis dahin konnte der Mensch nur die Energie von Tieren, anderen Menschen (Sklaven) oder von Naturphänomenen (Wasserkraft, Windräder) nutzen, sie aber nicht selbst herstellen. Das ist nun anders geworden und dem Menschen stand auf einmal ungleich viel mehr Energie zur Verfügung als bislang. Das zu dieser Phase gehörende neue Kommunikationssystem, das in den vorhergehenden Phasen der Sprache und der Schrift entspricht, ist der Computer und die Digitalisierung.

An die Stelle von Gott tritt als höhere Macht nun das kosmische Bewusstsein. Damit einher geht ein Gefühl der Erhabenheit, das sich angesichts der strukturellen Zusammenhänge in der Natur sowie auch der eigenen Gedankenwelt einstellt. Die Welt wird als Ausdruck des kosmischen Bewusstseins verstanden, als seine Gedanken und Träume. Der moderne Mensch sagt nicht mehr, dass Gott die Welt erschaffen hat, sondern, dass Bewusstsein (oder Geist) die Materie kreiert. Ganz unverfroren geht der Mensch davon aus, dass das kosmische Bewusstsein analog seinem eigenen funktioniert. Das ist auch ganz logisch, denn ein anderes Bewusstsein als sein eigenes kann der Mensch ja gar nicht kennen. Der Begriff Bewusstsein ist ähnlich vage wie der Begriff Gott. Niemand weiß, was der Begriff Bewusstsein überhaupt bedeutet. Verstand, Gefühl, Instinkt, Gott, Natur, der Urknall, Elektromagnetismus: alles wird darunter subsumiert, sodass der Begriff total beliebig wird. Aber darauf kommt es gar nicht an. Das Entscheidende ist, dass durch die Verwendung des Begriffs Bewusstsein der Mensch nun selbst an die Stelle des Schöpfergotts tritt. Beinahe unmerklich wird der Mensch oder eben sein Bewusstsein nun selber zum allumfassenden Prinzip, zur allumfassenden Ordnung.

Die Übersteigerung des menschlichen zum kosmischen Bewusstsein geht einher mit einem totalen Universalismus. Die Utopie der vollkommenen Entgrenzung wird Wirklichkeit. Das Prinzip, das Ordnungsgesetz, auf das radikal alles, was ist, zurückgeführt werden kann, ist der menschliche Geist. Vor diesem Hintergrund verlieren nationale, soziale und religiöse Schranken ihre Bedeutung. Mit Riesenschritten strebt die Menschheit der globalen Welt entgegen, in der alle Menschen nicht nur Brüder und Schwestern, sondern ein Bewusstsein sein werden. Zur Verwirklichung des totalen Universalismus wird gelegentlich auch schon mal geltendes Recht gebrochen, wie das zuletzt bei den Abkommen von Maastricht, Schengen oder Dublin der Fall war.

Dem Bruch in seinem Bewusstsein, der durch die Entwicklung dem Instinkt zuwiderlaufender kognitiver Fähigkeiten entstanden ist, versucht der Mensch durch totale Entgrenzung, Veräußerlichung und Übersteigerung seiner selbst zu begegnen. Um den Bruch zu überwinden, strebt der Mensch danach, sich die Materie, die Welt und den Kosmos bis zum letzten Molekül einverleiben, indem er alles zu Gedanken oder Träumen seines eigenen Bewusstseins erklärt, das er nun als göttlich definiert.

Ich habe meine Zweifel, ob der Bruch überwunden werden kann, wenn ein Teil des Zerbrochenen sich zum alles beherrschenden Ordnungsgesetz aufschwingt. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Einheit zwischen Verstand und Instinkt wiederhergestellt wird, sondern vielmehr, dass durch den krampfhaften Versuch, die ganze Vielfalt der Wirklichkeit einem ins Kosmische übersteigerten menschlichen Bewusstsein unterzuordnen, die weitere Fragmentierung sowohl von Verstand wie Instinkt nur immer weiter vorangetrieben wird. Die Sucht nach Erklärungen scheint das Problem nicht zu lösen, sondern Teil des Problems zu sein.

Ich muss nicht für alles eine Erklärung haben. Ich kann Fragen unbeantwortet lassen und mir die Grenzen meines Wissens eingestehen. Aus diesem Grund plädiere ich für die Abschaffung eines allumfassenden Begriffs oder Prinzips, das für totale Erklärbarkeit steht. Ich denke, nicht nur die Welt würde befreit aufatmen, sondern auch die Menschen.